
Im falschen Film?
Was für Zeiten. Die Dinge überholen sich täglich und der Artikel ist schon ein paar Tage lang als Entwurf gespeichert. Doch es wäre schade, wenn ich ihn jetzt in die Schublade stecke….
Es wäre ja wirklich zu schön, wenn man nur im falschen Vorführraum des Kinos sitzen würde. Wer hätte noch vor acht Wochen gedacht wie sehr unser „normales“ Leben aufgrund eines chinesischen Virus aus den Fugen gerät? Ein Virus der mutmaßlich durch den Verzehr von Gürteltieren die Tier-Mensch Schranke überwunden hat? Vielleicht hatten ein paar Virologen eine wage Ahnung davon – das war es aber auch schon. Schätze ich. Und der Verzehr von Gürteltieren – echt jetzt?
Wie dem auch sei. Wir kennen nun Menschen mit Namen, von deren Job wir bis vor kurzem keine Ahnung hatten. Ob Prof. Dr. Christian Drosten oder Prof. Dr. Lothar Wieler – wir vertrauen darauf, dass deren Expertise und Rat uns möglichst gesund durch diese Herausforderung steuert. Die meisten von uns bauen auch darauf, dass unsere Regierung, die richtigen Entscheidungen trifft, um uns nicht nur gesund sondern auch wirtschaftlich einigermaßen stabil durch diese Krise zu führen. Natürlich gibt es immer Zweifler. Und in erster Linie sind das Menschen, die um ihre wirtschaftliche Existenz fürchten. Und diese Ängste haben viele von uns natürlich fest im Griff. Wohl dem der einen Plan B, Rücklagen oder ein zweites Standbein in der Schublade hat.
Wir stellen auch fest, dass Deutschland von den Menschen „am Laufen“ gehalten wird, die in der Einkommensskala eher am unteren Ende angesiedelt sind. Wir sind dankbar für ihren Einsatz und ich hoffe wirklich, dass sich nach dieser Krise alle daran erinnern, was sie geleistet haben und entsprechend über deren Gehälter nachgedacht wird.
Faszinierend finde ich auch, wie Initiativen aus dem Boden schießen, die Menschen realisieren denen die kleinen Läden sehr am Herzen liegen oder die neue Wege für ihren eigenen Laden suchen. Ob der eigene Onlineshop oder der Zusammenschluss verschiedener Anbieter auf einer Plattform. Es gibt ein vielfältiges Angebot und die Menschen nehmen diese Angebote auch an. Mein Gefühl ist sogar, dass es für den ein oder anderen Anbieter sogar Nachfrager gibt, die bisher gar nicht dort eingekauft oder gespeist haben – doch nun honorieren sie deren Innovationskraft und Überlebenswillen.

Außerdem lernen sich Familien gerade neu kennen. Ich bin seit der Grundschulzeit bei meinem Großen nicht mehr so nah dran gewesen, an seinem Lernstoff aber auch sonst. Ich sehe seine Schwierigkeiten am Ball zu bleiben bei Fächern die ihn null interessieren und seine Fähigkeiten Dinge zu erledigen, die ihm Spaß machen. Natürlich weiß ich schon lange, dass dem so ist – aber noch nie habe ich ihm dabei jeden Tag gegenüber gesessen. Unser großer Esszimmertisch ist unser Homeoffice – überall liegen Stapel von dem was erledigt werden soll.
Seit 14,5 Jahren haben wir fast ununterbrochen einen steten Wechsel der Wochenenden für Josh beim Papa. Nun sind sie ausgesetzt und auch hier ist es ein komisches Gefühl. Joshs Papa fehlt die Zeit mit ihm sehr. Josh ist erstaunlich ruhig. Er nimmt die Situation wie sie ist. Er jammert null. Die Schulfreizeit – Segeln auf dem Ijsselmeer – nach den Ferien wurde abgesagt. Ich hätte heulen können – denn ich weiß, so etwas kann man nicht einfach nachholen. Er nimmt es hin und sagt, es ist nun mal so.
Josefine fehlt der Austausch, das Spielen mit Ihren Freundinnen sehr. Ihr fehlt ihre Lehrerin, der Unterricht, die Abwechslung. Sie vermisst den Klavierunterricht, das tanzen und die Tennisstunde. Sie wäre theoretisch morgens um 08.00 Uhr schon mit allen (Schul-)Aufgaben durch. Wenn ich ihr nicht mittlerweile verboten hätte überhaupt vor 10.00 Uhr anzufangen. Sie fragt ständig, was sie jetzt tun könnte und ich versuche jeden Tag etwas Kreatives mit ihr umzusetzen. Doch ich merke ihr an ihrer Stimmung an, dass diese Quarantäne ihr, im Vergleich zu uns anderen Familienmitgliedern, am schwersten fällt.

Meine persönliche Herausforderung ist die Tatsache, dass ich quasi keine Sekunde am Tag für mich habe – außer auf der Toilette und unter der Dusche. Ein bisschen so wie zu den Zeiten als die Kinder noch Babys waren. Ich versuche sie überhall einzubinden. Die Gassirunde mit Hund ist unsere erzwungenen Pause an der frischen Luft. Vor Corona, meine Auszeit allein – nun Familienspaziergang.
Ich bereite alle Mahlzeiten mit Unterstützung der Kinder zu. Nun drei am Tag, vorher eher ein „schnelles“ Frühstück aus Kakao oder Saft (meine Kinder sind beide keine Frühstücker vor der Schule), Mittagessen eigentlich nur zwei Mal die Woche (an drei Tagen sind sie normalerweise in der Betreuung oder bei der Oma) und weil ich nicht zweimal am Tag kochen will (es aber trotzdem oft genung mache) gibt es am Abend immer ein warmes Gericht. Und weil wir ja außerdem gerade noch Fastenzeit haben – die ich ja vegetarisch verbringen will – auch noch alles mit Rezepten aus Kochbüchern und nichts einfach so aus der lameng. Gesunde Ernährung steht bei mir gerade höher im Kurs denn je.
Wir haben das Hochbeet bereits bepflanzt, den Garten auf Vordermann gebracht, ein Frühbeet in Josefines Zimmer angelegt (die Kohlrabi- und Tomatensetzlinge müssen schon bald umgetopft werden). Die alte Weinkelter haben wir bepflanzt. Nun kommen (online bestellt) noch mal vier Palettenrahmen, um weitere Beete anzulegen. Eines für Gemüse und ein anderes soll eine Hummel- und Bienen Wellness Wiese werden. Ich muss gestehen, dass ich froh bin, dass die Baumärkte noch offen sind und Markus (der sowieso noch ganz normal arbeitet) uns Nachschub an Material mitbringt. Alles in allem leben wir hier ein bisschen wie auf einer Insel der „Glückseligen“ – es gibt so viele Menschen, die unter wirklich widrigen Umständen darauf warten, dass wieder so etwas wie Normalität einkehrt.

Doch was diese Situation mit unserer Psyche macht kann ich noch gar nicht greifen. Ich persönlich habe ein Dejavu und einen ziemlich krassen Vergleich zu einer Situation, die ich nunmehr vor über 25 Jahren hatte. Damals im Frühjahr 1994 starb mein Sohn Tim mit zwei Jahren ganz plötzlich. An einem Lungenvirus. Er sank am 17. März mitten in der Nacht vor unserem Bett mit einem letzten „Mama“ und Schnappatmung nieder. Und wachte nicht mehr auf. Alle Bemühungen von Erster Hilfe von mir, den Sanitätern und der Notärztin, der Unimedizin blieben erfolglos. Der Patologe erklärte uns später ein Virus hätte die Lungenbläschen und Bronchiolen so verklebt, so dass die Lunge nicht mehr in der Lage war, den Sauerstoff ins Blut zu transportieren. Er hatte keine Chance.
Welcher Virus es war, wurde nie festgestellt, man sagte uns, alle sieben Jahre würde mal ein Kind an einem solch seltenen Virus sterben. (Wenn das alles medizinisch nicht 100% stimmig ist, möge man mir verzeihen – es ist meine Erinnerung und es ist lange her.)
Danach lebte ich fast ein halbes Jahr in einer „Blase“. Es fochten Verstand und Herz harte Kämpfe miteinander aus. Der Verstand wusste was passiert war, doch mein Herz wollte es nicht wahr haben. Und so schaute ich mehrere Monate aus der Metaebene auf mich und mein Handeln hinab. Bis immer mehr und mehr mein Verstand die Oberhand gewann und klar war: Es ist nichts mehr so wie es war. Und es wird auch nichts mehr so.
Ich war damals sehr jung – noch nicht einmal 24 Jahre alt. Mein ganzes Leben lag noch vor mir und so habe ich gelernt mit der Situation umzugehen. Eines bin ich nie geworden – eine übervorsichtige Mutter. Weder Josh noch Josefine sind von mir besonders verhätschelt oder als Helikoptermutter beobachtet. Ich habe tatsächlich keine Angst um sie – ich bin mit einem unendlichen Urvertrauen ausgestattet, dass die Dinge ihren guten Verlauf haben.
Heute, kurz vor meinem 50. Geburtstag, haben wir nun diese alles umwälzende Situation. Viele Menschen werden nach Corona in der Situation sein, dass nichts mehr so ist wie es war. Manche haben jemanden durch den Virus verloren, machen haben ihre wirtschaftliche Existenz nicht rüber retten können. Es gibt sicherlich auch die, die neue Wege gehen werden, weil sie gemerkt haben, dass es dringend Zeit ist Träume zu realsieren, bevor es zu spät ist. Das das Leben endlich ist und unser Leben in diesem Land mit all seinen wirtschaftlichen und sozialen Vorteilen nicht selbstverständlich ist. Ich weiß noch nicht, in welchem Zustand wir aus der Krise kommen werden – aber ich weiß, dass ich (und vermutlich auch ein paar andere) aktuell in der gleichen psychischen Situation bin wie vor 25 Jahren.
Ich betrachte diese Situation, hier zu Hause, in der Region, in Deutschland und weltweit aus der Metaebene. Es kommt mit vor wie ein Film. Ich kann es oft nicht fassen. Die vielen Toten in Italien und Spanien. Diese unwirkliche Szenerie mit Särgen. Oder die Toten in Deutschland – im Moment scheinen sie noch so fern. Draußen scheint die Sonne, der Frühling bricht sich seinen Bann. Ich fühle mich ein bisschen wie auf einer Insel und warte – ähnlich wie bei einem Tsunami, dass das Wasser wieder kommt. Ich hab gehört, dass es kommt, nur keiner kann sagen wann und wie gewaltig.
Aber auch die vielen Menschen, die gerade vor dem instabilen Kartenhaus Ihrer Selbstständigkeit stehen, das womöglich in den nächsten Tagen oder Wochen in sich zusammen fallen wird. Wir alle werden noch realisieren müssen, dass das kein schlechter Film war, in dem wir da gerade eine Rolle spielen. Sondern Realität. Und dann wird sich zeigen wer die nötige Resilienz besitzt, um damit umzugehen. Wer es schafft aus den den Scherben etwas Neues zu bauen. Und wenn man den Wissenschaftlern auch in diesen Dingen glaubt – es wird sich vieles zum positiven verändern.
Weil ich weiß, was ich alles schon geschafft habe, bin ich guter Dinge, dass ich dann einen Plan haben werde. Vielleicht sogar einen besseren als noch vor vier Wochen. Denn eigentlich war ich vor vier Wochen gerade dabei zu realisieren, dass es so nicht weitergeht. Der Virus verschafft mit persönlich sogar Zeit. Was mir fehlt ist natürlich das Geld durch die Hochzeiten die abgesagt oder verschoben wurden. Doch ich bin in der absolut glücklichen Lage einen Mann an meiner Seite zu haben, der bis dato beruflich noch keine Einbußen hat und mir den Rücken freihält. Und ich fühle jetzt schon wie in mir der Tatendrang hoch kommt und ich bin sicher er wird sich bald seinen Weg nach draußen suchen.
Ich hoffe, dass ich dann in der Lage bin das ganze auch auf die Straße zu bringen – doch warum das eine Schwierigkeit ist, mit der ich auch seit mehr als 25 Jahren kämpfe, ist einen weiteren Beitrag wert.
Und nun bleibt mir zur zu sagen: Bleibt gesund! #stayathome


