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Rassismus. Und Ihr schweigt.

Als Simon Ahäuser, unser ev. Pfarrer hier in Dienheim, mich fragte, ob ich nach dem Fastengottesdienst noch ein paar Worte zum Thema Rassismus und Rechtsradikalismus in Deutschland sagen möchte, habe ich einen klitzekleinen Moment darüber nachgedacht. Und dafür müsste ich mich schon schämen. Denn genau das ist das Problem. Zu viele schweigen. Der Ort ist klein, man will ja keinen Ärger, der Nachbar mit den komischen Bemerkungen ist doch eigentlich nett, der Bekannte aus dem Verein immer so hilfsbereit….

Ja, auch Menschen mit rechtsradikalem Gedankengut können sehr nett sein – aber es stimmt grundsätzlich was mit ihrer Weltanschauung nicht. Und das darf man, das darf ich, niemand einfach so stehen lassen. Wir müssen mehr aufbegehren, wir müssen uns positionieren, unseren Kindern Vorbild sein.

Und daher habe ich Ausschnitte aus dem folgenden Text nach dem Gottesdienst verlesen. Nachfolgend poste ich die lange Version, die den Rahmen gesprengt hätte. Ein paar der Textpassagen sind aus Artikeln im Netz. Die Quellenangaben findet ihr ganz unten.

In Christus sind wir alle gleich.

Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freie, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.

Galater 3, 28:

Biologisch gesehen, da ist sich die Wissenschaft einig, gibt es keine unterschiedlichen, abgrenzbaren Menschenrassen. Weder in der Antike noch bei den Römern waren Feldzüge rassistisch begründet – man hielt Barbaren bzw. Germanen lediglich für dumm und unzivilisiert. Doch niemand wäre auf die Idee gekommen, dass die Welt ohne sie eine bessere wäre. Erst im Mittelalter, als man den Anspruch erhob, die christliche Religion sei die einzig wahre Religion für alle Menschen, entstand die Ideologie des Rassismus.

Was ist passiert? In Hanau erschießt Tobias R. neun Menschen, danach seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ ein wirr-rassistisches Manifest über 24 Seiten.

Ob diese Tat, der Anschlag auf die Synagoge in Halle oder die Ermordung von Walter Lübcke. München, die NSU Morde – alles Taten der jüngeren Vergangenheit.

Fast schon vergessen ist, dass ein paar Tage vor Hanau glücklicherweise eine rechtsextreme Terrorzelle zerschlagen wurde, die ebenfalls Anschläge auf Politikerinnen, Politiker, Asylsuchende und Muslime plante. In Stuttgart wurden bei Schüssen auf eine Shisha-Bar zum Glück niemand verletzt.

Der mögliche künftige Kanzlerkandidat Merz äußert sich diese Woche so, als ob fehlende Grenzkontrollen, die Clankriminalität und Migration Schuld daran seien, dass sich das Problem des Rechtsradikalismus in der Art wie wir ihn wieder in Deutschland erleben, verstärkt.

Doch ich glaube wir haben ein gesellschaftliches Klima, das diese menschenfeindlichen Ideologen schützt. Rassismus ist ein tiefgreifendes Problem unserer Gesellschaft. Und das weiß eigentlich jeder, nicht erst seit 2015 und der Öffnung der Grenzen.

Doch was ist Rechtsextremismus und Rechtspopulismus eigentlich?

Es ist vor allem eine Bedrohung für eine vielfältige Gesellschaft. Wir leben in einer Demokratie, also einer Gemeinschaftsform, die miteinander gestaltet, anstatt Einzelne oder Gruppen auszuschließen.

Demokratisches Handeln ist geprägt von der Annahme, dass alle gleichwertig sind und gemeinsam Verantwortung für ihr Umfeld übernehmen. Und zwar jeden Tag aufs Neue.

Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus sowie Homo- und Transfeindlichkeit widersprechen dem demokratischen Gedanken und sind Bestandteile rechtsextremer und rechtspopulistischer Einstellungen, die in einer menschenfreundlichen Gesellschaft keinen Platz haben dürfen.

Rechtsextreme setzen auf eine Diktatur, Rechtspopulisten auf eine illiberale Demokratie, die Minderheiten- und Oppositionsrechte angreift und einschränkt.

Zitate:

„Das Pack erschießen oder zurück nach Afrika prügeln.“

Dieter Gömert. AfD

„Bescheidenheit bei der Entsorgung von Personen ist unangebracht.“

Jörg Meuthen, AfD

„Immerhin haben wir jetzt so viele Ausländer im Land, dass sich der Holocaust mal wieder lohnen würde.“

Marcel Grauf, AfD.

Ganz offen wirken diese Menschen mit rechtsextremistischer Gesinnung.  So auch ein deutscher Oberleutnant der Bundeswehr, der im Bundestag für einen AfD Abgeordneten arbeitet und vom militärischen Abschirmdienst MAD als Rechtsextremist eingestuft wurde.

Zur Erläuterung: Da arbeitet jemand im Deutschen Bundestag, der per Definition dieser Einstufung, aktiv anstrebt, gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorzugehen – teilweise auch mit Gewalt. Jemand, der demokratische Freiheiten und Rechte, die Unabhängigkeit der Justiz oder gegen die im Grundgesetz formulierten Menschenrechte vorgehen will.

Die AfD beschäftigt nicht nur diesen Oberleutnant, sondern mehrere vom Verfassungsschutz beobachtete Identitäten. Übrigens alle vom Steuerzahler finanziert.

Bundestag. Berlin. Weit weg?

Ja sicher könnte man meinen. Man kennt dort Keinen. Was können wir schon tun? Berlin? Weit weg? So einfach können wir es uns nicht machen.

Ich habe mir die Zahlen der letzten Landtagswahl von 2016 raus gesucht – also ein Jahr bevor 2017 die AfD auch in den Bundestag einzog. In Dienheim haben satte 10,8 Prozent der Wähler für die AfD gestimmt. Die Unterstützung ist ungebrochen – auch 2019 haben 10,3% der Dienheimer die AfD ins Europaparlament gewählt.

Was bedeutet das konkret? Betrachten wir es statistisch: Fast jeder Neunte, in unserer Straße, in unserem Bekanntenkreis, womöglich in unserem Freundeskreis, womöglich sogar hier unter uns – wählt die AfD.

Was können wir tun?

Rechtsextreme Gruppierungen in Deutschland werden immer stärker, Aggressionen gegen Flüchtlinge und Asylbewerber nehmen zu. Die Justiz kann aber nur wenige Täter ermitteln.

Bundesweit sind knapp 500 Neonazis und andere Rechte untergetaucht. 624 Haftbefehle sind offen. Diese Menschen leben unter uns – häufig geschützt durch ihr Umfeld, Familie, Nachbarn, Freunde. Diese Menschen müssen nicht zwangsläufig der gleichen Ideologie angehören, doch durch ihr Schweigen wird die Verbreitung und das Wirken rechtsradikalen Gedankenguts zumindest gedeckt.

Es ist enttäuschend, dass bei solchen Anschlägen wie in Hanau die Mehrheit der Deutschen dazu neigt zu schweigen. Das Zeichen der Solidarität und ein gesellschaftlicher Aufschrei ausbleiben. Denn erst das Einstehen für Minderheiten, zeigt wie ernst wir es mit der Demokratie und Freiheit meinen.

Das können wir gegen Rechtsextremismus und -populismus tun!

Wir müssen uns mit Personen solidarisieren, die von diskriminierenden und menschenverachtenden Anfeindungen betroffen sind. Wir können unsere Unterstützung ausdrücken, indem wir uns mit ihnen gegen Anfeindungen verbünden – sowohl mit direktem Gespräch als auch mit öffentlichen Statements.

Wir sollten uns unser Umfeld anschauen. Kennen wir rechtspopulistisch, nationalistisch denkende Menschen?  Wenn ja, sollten wir uns klar positionieren. Das Wichtigste im Umgang mit Rechtspopulisten ist die eigene Haltung: Wofür stehe ich, wie will ich leben, in was für einer Gesellschaft? Dies sollten wir stets offensiv nach außen vertreten.

Demokratie muss auch im Alltag und im Internet verteidigt werden: Wenn wir Desinformation erkennen, dürfen wir nicht zu ihrer Verbreitung beitragen. Wir sollten gegen Hate Speech vorgehen.

Wir müssen mehr Widersprechen. Ob im eigenen Verein, im Gespräch mit Nachbarn oder den Vorsitzenden einer rechtspopulistischen Partei: Bei Positionierungen, die wir als falsch oder gar menschenverachtend einstufen, gilt es zu widersprechen. Es geht nicht darum, das Gegenüber zu überzeugen. Es ist oft wichtiger deutliche Positionierungen, gute Argumente und eine klare Haltung zu zeigen um Umstehende, die unsicher sind zu stärken – denken wir hier, aber nicht nur, auch an unsere Kinder. Wir müssen gesellschaftlich zusammenhalten und unser demokratisches Miteinander in den Vordergrund rücken.

Wir müssen offen die Menschenrechte verteidigen.  In der Gesellschaft muss gewaltfrei gestritten werden. Demokratische Streitkultur muss wieder gelernt werden. Andere Meinungen sind legitim und wichtig. Jedoch gibt es Grenzen. Diese Grenzen des Sagbaren sind dort erreicht, wo Menschen aus rassistischen Gründen ausgegrenzt werden.

Auschwitz
Auschwitz. Adobe Stockphoto: © Jovan #189348465

Wir leben in einem Land, das getrieben von nationalsozialistischer Ideologie die halbe Welt in Brand gesteckt und sechs Millionen Juden auf dem Gewissen hat.

Nach dem zweiten Weltkrieg war das Schweigen und Verharmlosen in den Täterfamilien enorm. Von Verantwortung war wenig zu hören, in den meisten Familien wurde der Eindruck geweckt, der Nationalsozialismus habe stets an einem anderen Ort und mit unbekannten Akteuren stattgefunden – doch so war es nicht.

Und daher sollten wir heute wenigstens eine Sache sicherstellen – das rassistisches Denken auf deutschem Boden nicht weiter gedeihen kann.

Rassismus kann überwunden werden

Rassismus war und bleibt eine Ideologie. Eine von der Gesellschaft antrainierte Sicht auf die Welt. Der Wille, eine Ungleichheit sehen zu wollen, die die eigene Gruppe unveränderlich über die andere Gruppe stellt.

Es geht um Macht und ihren Missbrauch. Geld, Arbeit, Wohnraum, kulturelle und politische Teilhabe. Rassismus ist kein menschlicher Defekt, keine Krankheit. Er ist eine Erfindung der Menschen. Deshalb kann er auch von Menschen überwunden werden.

Das Motto der Fastenzeit ist Zuversicht.

Sieben Wochen ohne Pessimismus. Es soll uns ermuntern Zukunftsängste und Misstrauen zu überwinden, uns neben Glaube und Liebe, vom Prinzip Hoffnung leiten lassen.

Ich bin hoffnungsvoll.  Und ich bin überzeugt: Die große Mehrheit der Menschen in Deutschland verurteilt diese Taten wie in Hanau und jede Form von Rassismus, Hass und Gewalt. Und wir müssen das auch.

Quellen

Möglicherweise sind nicht alle Quellen genannt – ich hoffe im Sinne der Sache auf das Wohlwollen von Autoren, die hier jetzt nicht verlinkt sind. Einfach eine Nachricht schreiben und ich hole es nach.

Infos zu den Bemerkungen von Merz:
https://www.tagesspiegel.de/politik/rassismus-in-der-gesellschaft-merz-adelt-die-motive-der-rechtsradikalen/25585972.html

Definition und Infos zum Handeln gegen Rechts:
https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/rechtsextremismus-rechtspopulismus/

Untergetauchte Neonazis:
https://www.tagesspiegel.de/berlin/untergetauchte-neonazis-polizei-sucht-bundesweit-nach-482-rechtsextremisten/25518856.html

Geprüfte AfD Zitate:
https://www.volksverpetzer.de/analyse/afd-zitate/

Die Erfindung des Rassismus:
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-06/rassismus-ideologie-nationalsozialismus-rassentheorie-antike-mittelalter-genetik

Hier sprechen Menschen die der Hass direkt betrifft:
https://www.zeit.de/gesellschaft/2020-02/rassismus-hanau-anschlag-rechte-gewalt-wir-sind-hier